Klimakrise: Wie kann man die „Spaßbremsen-Falle“ umgehen?

„Sobald wir uns ehrlich machen über die Welt, in der wir navigieren, dann können wir auch loslegen“ sagte Luisa Neubauer kürzlich auf der Marketing-Konferenz OMR (Talk: „Cut the bullshit“). Doch wie funktioniert das in der Praxis?

All zu oft wird die Bedrohlichkeit der Gesamtlage mit einem „Wird schon irgendwie gut gehen“ beschwichtigt.

Dies ist verständlich – Spaß macht das Reden über Krisen keineswegs, den Ablauf stören tut es auch, Gewinn bringt es bisher eher wenig, schnell und einfach lösbar ist es ebenso nicht = Klimagefühle als Tabuthema.

Oder man erzählt sich gegenseitig ein „grünes Märchen“ (Luisa Neubauer), weil man ja Maßnahme X schon umgesetzt hat („single action bias“) oder gut klingende Klimaziele in der Theorie existieren.

Dies kann sogar vermeintlich nachhaltig aufgestellte Unternehmen betreffen, die in der Vergangenheit viel mehr geleistet haben für Natur und Umwelt als die Konkurrenz: „Wir machen ja schon total viel“.

Die physikalische und ökologische Realität ist dennoch bitter und erbarmungslos: Unter dem Strich hat die Menschheit als „wirtschaftlich-soziale Gesamtheit“ die Treibhausgase immer weiter in die Höhe getrieben, ein globales Artensterben hat eingesetzt, Klimaziele werden nicht eingehalten. Letztes Beispiel der Konsequenzen: Teils lebensbedrohliche Hitze in Südostasien, Ausgangs-Warnungen, Fern-Unterricht.

Die jetzigen Jahre sind entscheidend, um die weitere Erhitzung nicht vollends eskalieren zu lassen.

Die österreichischen Klimawissenschaftler:innen stellen sich in allerhöchster und letzter Verzweiflung hinter die gesellschaftlich umstrittenen Methoden der Letzten Generation. Selbst die eher zurückhaltend agierenden Universitäten appellieren gemeinschaftlich an die österreichische Bundesregierung, radikal umzudenken und tätig zu werden:

Angesichts der Dramatik des Klimawandels und der verheerenden Auswirkungen, die uns allen drohen, braucht es ein radikales und sofortiges Umdenken“, so uniko-Präsidentin Sabine Seidler. „Die Faktenlage ist erdrückend. Konkrete Vorschläge und Lösungsansätze liegen am Tisch. Es müssen nun endlich Taten folgen.“

ots.at – Österreichische Universitäten solidarisieren sich mit Klimabewegung

Appelle und Notrufe wohin das Auge reicht, lokal wie global.

Die mentale Belastung der „unrealistischen Hoffnungs-Parolen“

Daher ist es für einige Menschen potenziell so frustrierend und mental herausfordernd, wenn sie angesichts dieser Gesamtlage auch noch mit „unrealistischen Hoffnungen“ seitens ihrer Mitmenschen konfrontiert werden:

Psychologisch macht das „unrealistische Hoffen“ als Abwehr- und Schutzfunktion vollkommen Sinn, weil man so mental halbwegs unbeschadet durch eine dynamische Welt kommt. Wir alle klammern tagtäglich vielfach Themen (und Ungerechtigkeiten) aus. Ich vermute, so wurden wir auch größtenteils sozialisiert: Schau auf dich selbst, Schritt für Schritt – dann wird das alles schon.

Dies hat aber derzeit eine gewichtige negative Konsequenz:

Die, die sich ehrlich machen wollen und ihre Klimagefühle teilen, sind somit am Ende des Tages stets die „party pooper“, die Spielverderber:innen, die Spaßbremsen. Sie sind es auch, die sich potenziell isoliert und allein gelassen fühlen. In letzter Konsequenz ist das gesellschaftliches Gaslighting: „Die Wahrnehmung der Realität wird beim Opfer in Frage gestellt“.

To be fair: Wie soll man in einem Arbeits-Meeting aber auch damit umgehen, wenn jemand sagt „Fuck fuck fuck, diese 7 Jahren entscheiden jetzt noch, wir müssen mal alles radikal hinterfragen hier!!!!1“. Und dies in einem sowieso schon überfrachteten und verdichteten Arbeitsalltag, Herausforderungen mit Care-Arbeit, etc.

Für das Individuum ebenso problematisch:

Wer jetzt alles hinschmeißt und noch versucht das Ruder mit herumzureißen, kann später dafür keine Rentenpunkte reklamieren. Karriere machen (derzeit) potenziell diejenigen, die ausblenden können (und wollen). Es gibt (bisher) keine staatliche Belohnung für den Kampf gegen die Klimakrise.

Sich einen Job zu suchen, der aktiv für Klimagerechtigkeit kämpft, ist natürlich eine Option. „Good green jobs“ sind aber ebenso noch Mangelware.

Zeitgleich appellieren Finanz-Blogger:innen wie Madame Moneypenny (berechtigterweise) tagtäglich, selber für das Alter vorzusorgen weil die staatliche Rente nicht ausreichen wird. Altersarmut ist – insbesondere für Frauen und alle, die in Teilzeit arbeiten – ein realistisches Risiko. Wer in ETFs & Co investieren will für die zusätzliche private Vorsorge oder für seine Kids, braucht Einkommen (oder muss erben).

Es bleibt also weiterhin ein Spagat zwischen Karriere und Krise(n):

klimakrise_vandamme_split
Quelle: eigenes Meme

Wie also konstruktiv damit umgehen?

Ein Tipp ist es, den Gefühlen Raum zu geben, bspw. in Bezug auf politische Verantwortung:

Ein weiterer Tipp im Klimagefühle-Buch ist es es, sich Gleichgesinnte in Klimaaktivismus-Gruppen zu suchen, sodass man sich nicht isoliert fühlt mit seinen Gefühlen und seine Gefühle von anderen „validiert“ werden. Auch sind Sport, Freunde treffen, Abschalten, Natur genießen Tipps für mentale Gesundheit.

Doch reicht es, dass jede:r selbst Verantwortung für die erfolgreiche Bewältigung seiner eigenen Gefühle übernimmt?

Oder stehen hier auch Staat und Unternehmen in der Pflicht? Welches Narrativ gibt man Arbeiter:innen und Bürger:innen, jungen Menschen, uns allen mit auf den Weg in die nächsten Jahre?

Ein erster zwischenmenschlicher Schritt wäre auch:

Klimagefühle ernst nehmen, validieren, Gesprächsangebote machen sowie konstruktives Hoffen systematisch einführen. Ein „Ja, die Gesamtlage ist schon ziemlich erdrückend – verstehe, dass dich das umtreibt!“ wäre schon ein erster guter Schritt, zumindest aus meiner bescheidenen Sicht.

Vielleicht sind hier auch wieder Gewerkschaften und neu entstehende solidarische Bündnisse gefordert. Ein kleines Indiz hierfür könnte sein, dass in Großbritannien Schamanismus beliebter wird, um Klimagefühle („eco anxiety“) zu verarbeiten (neben esoterischer Geschäftemacherei natürlich).

Die gesellschaftliche Vertrauensfrage

Zudem stellt sich für mich die bedeutsame Frage, wie das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Prozesse gestärkt werden kann.

Sind es doch gerade die staatlichen Institutionen, welche die Bürger:innen nun vor Extremwetter, lebensbedrohlicher Hitze und all dem, was da kommt, beschützen müssen – und zeitgleich alles (sozial gerecht) klimaneutral umbauen sollen.

Gerade dieses Grundvertrauen in den staatlichen Schutz wäre ja einer der wichtigen Anker, um „konstruktives Hoffen“ (active hope) zu praktizieren – und bereit für die kommende Transformation hin zur Klimaneutralität zu sein:

Die erste gute Nachricht ist ja eigentlich: Selbst wenn sich die Wirtschaft radikal verändert bzw. verändern muss, sind Staat und solidarische Gesellschaft ja dennoch vorhanden. Gerade in westeuropäischen Ländern / wohlhabenden Ländern hat man als Bürger:in ein riesiges Privileg: Die Klimawandel-Folgenanpassung („adaption“) ist grundsätzlich mach- und finanzierbar, im Katastrophenfall stehen Rettungskräfte und Technik bereit. Viele Ideen für mehr Soziale Gerechtigkeit und Reformen gibt es ebenso.

Die zweite gute Nachricht: Und auch weniger Wirtschaftswachstum muss ebenso nicht Leben ohne Strom, Toilette und Konsum heißen, zumindest laut Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann:

Die dritte gute Nachricht: In Krisen zeigte sich zudem oft, dass Menschen viel solidarischer sind als wir es oft annehmen.

Also auch alles nur eine Frage des Grundvertrauens in die Spezies Mensch, Zusammenhalt und Demokratie? Technikpublizist Frank Rieger beschreibt den derzeitigen Konflikt bzw. die Herausforderung so:

„Ein wesentlicher politischer Konflikt in Deutschland und Europa lässt sich – etwas verkürzt – so zusammenfassen: Der Klimawandel wird immer stärker spürbar, der Druck “etwas zu tun” nimmt zu. Viele schon beschlossene und gerade zur Verabschiedung anstehende Maßnahmen, um ihn aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen, sind aber, auch dank jahrzehntelanger Vertrödelung, teuer und potentiell sozial ungerecht. Sie greifen teilweise tief in den Alltag der Bevölkerung ein. Der Wille, staatliche Eingriffe zu tolerieren und finanzielle Lasten für eher abstrakte Meta-Ziele zu stemmen, ist aber durch Seuche, Krieg und Inflation bei vielen Menschen deutlich eingeschränkt.“

Frank Rieger

Ein gesellschaftlicher Selbstläufer ist diese Transformation also keineswegs. Für mich persönlich wäre daher im ersten Schritt die folgende Frage hilfreich zu klären (vielleicht auch wegen meines damaligen Pädagogik-Studiums 😉 ):

Wie umgehen wir die „Spielverderber:innen-Falle“, wenn wir uns gemeinsam ehrlich machen wollen? Welche Strategien und Methoden sind hierfür hilfreich? Was wird bereits umgesetzt, bspw. im Arbeitskontext?

Hinweise gerne in die Kommentare, vielen Dank!


YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

PGlmcmFtZSB0aXRsZT0iTFVJU0EgTkVVQkFVRVIgLSBDdXQgdGhlIEJ1bGxzaGl0IiB3aWR0aD0iNTYwIiBoZWlnaHQ9IjMxNSIgc3JjPSJodHRwczovL3d3dy55b3V0dWJlLW5vY29va2llLmNvbS9lbWJlZC8zUlJKU3g3X3NiQT9mZWF0dXJlPW9lbWJlZCIgZnJhbWVib3JkZXI9IjAiIGFsbG93PSJhY2NlbGVyb21ldGVyOyBhdXRvcGxheTsgY2xpcGJvYXJkLXdyaXRlOyBlbmNyeXB0ZWQtbWVkaWE7IGd5cm9zY29wZTsgcGljdHVyZS1pbi1waWN0dXJlOyB3ZWItc2hhcmUiIGFsbG93ZnVsbHNjcmVlbj48L2lmcmFtZT4=

Weitere Ressourcen:

Ein Kommentar

Geri 18. Juli 2023 Antworten

Vielleicht braucht es genug Menschen, die einen anderen Weg gehen. Als junger Mensch ohne Kinder und ohne die Verantwortung seine Eltern zu pflegen und in den westlichen Ländern lebend hat man ja bei aller Konsequenz das Potential. Wie gesagt: Bei aller Konsequenz, da heißt dann eben auch keine Rentenpunkte sammeln. Aber wenn die Wirtschaft (und damit unser Gesellschaftssystem mit Sozialstaat) kollabiert, was brauche ich dann theoretische Rentenpunkte? Und irgendwelche ETFs zahlt mir dann sicher auch keine mehr aus.

Also kann man auch überlegen, was man denn stattdessen machen kann. Ich arbeite nun als Freelancer ca. 10 Std. pro Woche und komme so mit „schmalem Fuß“ (kein Auto, kein Haus (kleine Mietwohnung), keine Fernurlaube, minimale Anzahl an elektronischen Geräten, ..) gut über die Runden. In der so gewonnenen Freizeit versuche ich alte Handwerkstechniken zu lernen. Ich kann mir bei ehrlicher Betrachtung nicht vorstellen, dass die ganze Hightech-Idee mit ihrem Ressourcenverbrauch (Extraktivismus) wirklich auf Dauer klappen wird, es baut ja auf funktionierenden Logistikketten und genug Kaufkraft. Wenn nun aber essentielle Sachen (Wasser, Nahrung) fehlen, dann kommt es zum Knirschen in gesellschaftlichen Systemen und die Empfindlichkeit der Lieferketten hat man ja in den zurückliegenden Jahren gesehen.

Es ist tatsächlich ja auch sehr befriedigend handwerklich zu arbeiten und es erhöht die Resillienz der Gesellschaft, wenn Menschen auch was „können“.

Das ist vielleicht (? vielleicht doch?) keine gesamtgesellschaftliche Lösung aber eine Alternative.

Schreibe einen Kommentar